In drei Tagen durch die Modellkirchen
Die IBA endet 2023 und wir haben das zum Anlass genommen, gemeinsam mit einem externen Expert:innenkreis aus Gestaltung, Kirchbau, Projektplanung, Theologie und Architektur sowie den internen Expert:innen der Modellkirchen vor Ort die letzten Jahre zu reflektieren. Mit einem Kleinbus ging es quer durch Thüringen, nur vor dem starken Schneefall im Thüringer Wald mussten wir einknicken. Die Freude war groß, nach all den Jahren das zu bewundern, was hier ausgehend von Ideenwettbewerben und Beteiligungsworkshops die letzten zehn Jahre gewachsen ist und sich dessen auch innerhalb der Projektgruppen bewusst zu werden.
Die Dorfkirchen, wie sie die Her(r)bergskirchen am Thüringer Rennsteig sind, zeigen exemplarisch, wie eine touristische und eine religiöse Nutzung der Kirchen gleichzeitig funktionieren kann. Besonders die Verabschiedungsworte der weiterziehenden Gäste, die unerwarteten Gespräche und die lobenden Worte in den Gästebüchern bestärken die Gastgeber:innen in ihrem Engagement. Neu erschließen sich die Kirchen einer Gemeinschaft dort, wo sie wie in der Bienengartenkirche Roldisleben, der Feuerorgelkapelle Krobitz und der Spielkirche Niedergebra mit einem konkreten, alltagsrelevanten Thema verbunden werden: den Bienen, einer Feuerorgel oder Spielobjekten. Nicht immer ist es gelungen, die Nutzungserweiterung nicht als Objekt im Raum erneut „versteinern“ zu lassen, sondern lebendig zu halten. An den meisten Orten jedoch ist ganz Großartiges passiert: Die Roldislebener:innen brachten im Sommer etwa ihre Tische und ein Mittagessen mit in den Garten und es gab ein großes gemeinsames Picknick. Der Tauschschrank, die Bienenbauten und wechselnde Ausstellungen in der Kirche machen die Kirche wieder zum Mittelpunkt im Dorf. Das Wechselverhältnis von Parochialgemeinde und Modellkirche, die Frage der Zugehörigkeit und die theologische Füllung dieser neuen Räume, das sind und bleiben spannende Fährten, auch über 2023 hinaus.
In Ellrich und Apolda stehen die Kirchen im Kontext einer Klein-, bzw. Mittelstadt. Hier soll ein Andockpunkt und Lust zum Netzwerken für die gesamte Stadt innerhalb der Räume der Modellkirchen entstehen. Die religiöse Nutzung wird dafür entweder aufgehoben oder überlagert. In Ellrich beginnen die ersten Pflänzlein zu wachsen: nach einem großen Ball im Herbst, Bastelrunden, Yogastunden oder Markttagen wird die Kirche nun mit Leben gefüllt.
Wir sind mitten in einer großen Transformation, die sich zwar sehr langsam aber stetig vollzieht. Die Bereisung hat auch einige neue Erkenntnisse gebracht, vor allem, dass es viel Beratung und Begleitung sowie Förderung von kreativen, werkstattähnlichen Formaten braucht. Es bedarf eines interdisziplinären Herangehens mit Bauverantwortlichen, Theologen und anderen Partnern sowie einer guten Vernetzung mit lokalen Akteuren. Kirchen sind als öffentliche Räume zu verstehen. Als solche sind sie gebaut und nur so können sie weiter erhalten bleiben. Mit der Einschränkung: vielleicht trotzdem nicht alle. Wie weit sich dabei Kirche in ihrer Ausdrucksweise verändert, bleibt abzuwarten und auch spannend - sowohl inhaltlich als auch baulich. Aktuell überwiegen noch deutlich die Teile des Bisherigen: Viel Beharrungsvermögen, teilweise starre Denkmalbehörden, Angst vor Veränderung und mangelnde Kraft. Aber es ist etwas in Bewegung geraten! Gerade die aktuelle Kirchenmitgliedsstudie hat das noch einmal angeschoben, nicht nur bei uns in der EKM, sondern in allen Landeskirchen.
Jürgen Willinghöfer, Sona Beeck, Lars Weitemeier (alle drei Berliner Gestaltungsbüro chezweitz), Ulrike Rothe (IBA Thüringen), Jana Petri (Erprobungsräume EKM), Prof. Dr. Thomas Erne (ehem. Kirchbauinstitut), Elke Bergt, Aline Ott, Lisa-Marie Hottenrott (alle drei Baureferat EKM) haben neben den Engagierten vor Ort an der Bereisung teilgenommen.
Für 2024 ist ein dritter Band unserer im Jovis-Verlag erschienen Bücher geplant. Wer gerne was auf die Ohren mag - auch der Podcast „Kirchen aufgeschlossen“ wird die Erfahrungen der letzten Jahre weiter sammeln und Tipps&Tricks für einen neuen Typus Kirche weitergeben. Denn nun geht es daran, diese Ideen, Lernerfahrungen und Gelingensfaktoren auch über Thüringen hinaus publik zu machen.