"Sie sind Mutmacher!"
Ein kleiner Bericht
Wie überall, fiel auch unser Netzwerktreffen 2022 aufgrund der Pandemie ins Wasser und musste in den digitalen Raum verschoben werden. Dafür ist in diesem Jahr ein doppelter Grund zu feiern: 2023 sehen wir uns wieder alle realpräsentisch – und zwar in der frisch eröffneten Ellricher Netzwerkkirche! Zu einem guten Netzwerktreffen gehört das Beisammensitzen, bei leckeren Schnitten und Suppen. Davon gab es zum Auftakt des Netzwerktreffens dank der gastfreundlichen Ellricherinnen jede Menge.
Den inhaltlichen Auftakt gestaltete Prof.in Dr. Birgit Franz mit einem Impulsvortrag. Gemeinsam mit ihren Studierenden und Zusammenarbeit mit der Kirchgemeinde FriedO entwirft sie seit einigen Jahren Ideen für umgenutzte Kirchen im Göttinger Raum. (Weitere Infos hier.) Ein großes Danke schickte sie vornweg an die Engagierten in den Modellkirchen der EKM, die sich mit ihrem unermüdlichen Einsatz um neues Leben in den alten Mauern kümmern. Nach all den Jahren der gemeinsamen Projektphasen ist eins klar – ohne jede und jeden einzelnen wäre das alles nicht leistbar. Das wiederum hat enorme Strahlkraft auf andere Menschen, die – wie in Göttingen - noch in der Ideenfindungsphase stecken: „Man kommt in der Phase Null am besten vorwärts, wenn man mit den Botschafterinnen und Botschaftern redet. Sie sind Mutmacher. Wenn man das denn sein will – Botschafter. Das kommt ja noch oben drauf. Aber das ist so wichtig: Nicht nur denken, sondern dann auch in Angriff nehmen, umsetzen!“ Egal ob Coworkingspaces in Kirchen, Kletterkirchen oder Kolumbarien – es ist viel möglich. Eine wichtige Erfahrung, die Prof.in Birgit Franz dabei immer wieder machte, ist die, dass es wichtig ist, dass die Menschen miteinander ins Gespräch kommen und einen Bezug zum Kirchengebäude aufbauen. Ideen dafür gibt es viele: Mal ein Sportgerät in der Kirche, das man austesten kann. In einer Garten-Eden-Kirche die verschiedenen Sinne ansprechen – Fahnen von den Decken hängen, Düfte austesten, kreativ nachfragen: Welche Blume wärst du? Denn in der „Phase Null“ ist oft das Problem: Wie sollen wir starten? Und dann heißt es unbedingt, den Mut zu haben, den ersten kleinen Schritt direkt in Angriff zu nehmen. Ihr Tipp dabei: „Die Stückchen müssen immer klein genug sein, damit es weiter Lust macht, neue Leute gewinnen mit anderen Ideen und Plänen!“
Wie das aussehen kann, lebt Ellrich vor. Unser Treffen findet direkt in der Netzwerkkirche statt und schon beim Übertreten der Schwelle wird allen Teilnehmenden klar: Hier ist es besonderer Ort. Die Kirche ist bis auf die für uns bereitgestellten Stühle leer. Groß ist sie, mit rauen Innenwänden und hellen Fenstern. Die Geschichte der Kirche bewegt die Herzen: von der Grenzkirche zur Netzwerkkirche. (Näheres hier nachzulesen.) Martin Bischoff berichtet für unsere Runde noch einmal die Highlights, wie etwa das erste Anstoßen der alten Glocken. „Das ging durchs Herz, als der Originalglockenklang wieder ertönte. Es sind oft auch die besonderen Kleinigkeiten.“ Viele Kleinigkeiten, die mit viel Liebe in Ellrich gewerkelt werden, machen die Kirche so besonders. Die Einweihung im Dezember 2022 ist der Startschuss. Jetzt gibt es viele Ideen, wie die Kirche gefüllt werden kann. Eine besonders schöne Idee ist die der Schnuppertage, die sich Herr Bischoff überlegt hat. Dafür werden alle eingeladen, vorbeizuschauen und zu erleben, was hier in der Kirche alles möglich ist! Kuchen backen, Schlagzeug spielen, Geburtstagsfeiern veranstalten – die Netzwerkkirche ist ein Möglichkeitsraum und lädt zum Tanzen, Reden, Leben teilen ein. Eine Herausforderung ist aktuell, wie und wer das Kulturprogramm erstellt. Dafür ist die Gründung eines Kulturvereins eine Überlegung.
Klar ist auch: Es braucht Visionen! Davon gibt es in Ellrich jede Menge und das ist auch das kleine Erfolgsgeheimnis der Ellricher. Hier wird mit viel Liebe zum Gebäude und den Menschen geträumt – und tatkräftig angepackt. Das Architekturbüro HK ARCHITEKTEN stellt beim Netzwerktreffen erstmalig die Steckwürfel vor, die im Rahmen des Möbelworkshops als Sitzgelegenheiten für die Kirche durchexerziert werden. Alle möglichen Varianten können erprobt werden – einzeln, als Runde, hochgestapelt für Formate wie Spielerunden, Kinoabende oder Konzerte.
Auch die anderen Modellkirchen berichten von ihren aktuellen Erfahrungen. Hilbert und Vera aus Roldisleben erzählen von der Bienengartenkirche, die ebenfalls vergangenen Winter eingeweiht wurde. Die beiden erzählen, dass wir alle heute zwar über Smartphones global und persönlich dauernd vernetzt sind – aber die Gemeinschaft und Treffen in Präsenz mit anderen daneben doch ein hohes Gut sind! „Manches will man live sehen, es gibt sonst keine heiligen Momente. Aber es gibt Orte, da muss man da sein, da kann nicht online dabei sein! stimmt Pfarrer Lenz bestätigend zu. Ein gutes Beispiel dafür ist der Roldislebener Tauschschrank, der am Eingang der Bienengartenkirche verortet ist. Das Angebot ist niedrigschwellig, wird sehr gut angenommen und wurde zum neuen Mittelpunkt für die Dorfgemeinschaft. Für Vera und Hilbert steht daneben im Vordergrund, dass die Botschaft der Schöpfungsbewahrung bei den besuchenden Menschen ankommt: Eine Reflektion der eigenen Rolle und Verantwortung in der Welt, Liebe zu Bienen und anderen Insekten und dass Kirche ein Lebensraum wird. An manchen Stellen hakt es auch hier, es ist nicht leicht Menschen zu finden, die sich aktiv mitbeteiligen möchten. Das Netzwerk, in das die Kirche auch innerhalb der bestehenden Kirchgemeindestrukturen eingebunden werden soll, muss sich erst noch finden. Ein Schnuppertag wäre doch auch hier eine Idee, kommt als Resonanz der anwesenden Netzwerkgruppe. Auch Volker berichtet aus Apolda: Die MA Martinskirche steckt aktuell in Finanzierungsfragen und hofft auf einen baldigen Baubeginn.
Fragen, die alle Modellkirchen verbinden, sind die, wie es nun nach der Ideen- und Bauphase weitergehen kann. Die Projektphase, die nun für die Modellkirchen beginnt, öffnet neuen Aufgaben und Möglichkeiten: Was passiert, wenn sich die Paradigmen ändern und plötzlich ökonomische Gesichtspunkte zum Unterhalt der Kirchen relevanter werden? Welchen Betrag nehmen wir als Miete? Wer führt die Kirche unternehmerisch? Wie funktioniert die Betreibung der quergenutzten Kirchen? Wie können wir die Ideen weiterverbreiten? Können wirklich alle Kulturveranstaltungen kostenlos sein? Elke Bergt ermutigt dazu, viel zu sprechen: mit den Kreiskirchenämtern, die Hilfestellung bei Bau und Finanzierung geben oder den anderen lokalen Playern, mit denen etwa hybride Konzepte angedacht werden können. Das Landeskirchenamt steht dabei als Impulsgeberin zur Seite.
Gemeinsam kommen die Modellkirchenbeteiligten in ein Brainstorming. Allen ist klar: Der Wunsch, dass durch die Kirchenquernutzungen wieder sehr viel mehr Menschen sich aktiv für das Kirchgebäude engagieren wollen, wird sich kaum überall realisieren. Vielmehr geht es darum, Kräfte zu bündeln, klug zu netzwerken und mit denen, die da sind, Kirche zu leben. Kuchen backen ist kein Problem – aber Raumbuchungen müssen separat übernommen werden. Dafür kommt die Idee auf, eine Managementstelle zu schaffen, die allen Modellkirchen in Anteilen zuarbeitet. Etwa im Bereich der Kultur, was inhaltich alle verbindet. Kräfte und Aufgaben bündeln hieße hier, etwa eine Tournee zu organisieren, bei der heute Apolda, morgen Ellrich im Terminplan stehen. Auch die Stärkung bzw. Grenzen des Ehrenamts müssen beachtet werden.
All die Ideen werden gesammelt und von Elke Bergt an Schnittschnellen wie dem Deutschen Nationalkomitee, Denkmalschutz, etc. eingebracht. Das wertvolle Wissen der Leute vor Ort ist essentiell für die Prozesse und Ermittlung der Unterstützungsbedarfe im Bund. Die neuen Bedarfe sind oft unbekannt und müssen zusammengetragen werden. Auch vor Ort, in Gemeindetreffen, ist es wichtig, Präsenz zu zeigen: Etwa bei einer Kitaerweiterung oder Zusammenschluss mit einem lokalen Hotel. Wie immer gilt: Ausprobieren, die Kirchen sollten nicht direkt entwidmet werden, sondern einfach mal ein paar Jahre testen.
Netzwerken tut gut und ist inspirierend! Wir sind kleine Stecklinge im Erdboden, vergleicht Hilbert lachend, mal sehen, wie es weitergeht! Manches wird vielleicht auch nicht aufgehen, manches sind Spätblüher. Andernorts gehen vielleicht Blüten auf, mit denen wir nicht gerechnet haben. Die Saat ist auf jeden Fall gelegt und wir freuen uns auf die weiteren Meilensteile mit den Modellkirchen!